Die Reproduktionstechnik löst das Reproduzierte aus dem Bereich der Tradition ab. Walter Benjamin

Brot, Spiele, Bier

Sascha Böhmes Bilder begegneten mir zum ersten Mal, als wir uns im Juni 2013 nach sehr, sehr langer Zeit wieder trafen und er nach einigen Stunden wechselseitig anregenden Gespräches zum im Nachhinein eigentlichen Kern des Abends kam. Was ich dann, begleitet von gegenstandslosen Selbstentwertungsversuchen, auf kleinem Display als Vermittlung eines ersten Eindruckes zu sehen bekam, beendete mit der ersten Wischgeste meine Suche. Meine Suche nach den scheuen Bildern, die ich lieber als alle anderen zu Hause an die noch leeren Wänden hängen würde. Ich kenne Sascha. Doch was mich als Kritiker diskreditiert, hilft der Zielführung. Weder er ist scheu, noch seine Bilder. Eine Woche danach hat er mir eine seiner Serien verkauft. Sein Plan war das allerdings zunächst nicht. Ich musste ihn überreden. Es sollte ein harter aber fairer Kampf werden. Hier das kritische Plädoyer, sozusagen post mortem.

Bleiglasfenster, Kaleidoskope, Goethe, Bauhaus, Itten, Vasarely, Richter

Vordergründig geht es bei seinen Aquarellen um die handwerkliche Nachahmung digitaler Bildrasterung. Letztere erfüllt die Aufgabe der möglichst genauen Abbildung des physischen Bildes mit Hilfe moderner Informationstechnologie. Erstere beabsichtigt im Umkehrverfahren ihr genaues Gegenteil, die Abstraktion bis zur Unanschaulichkeit. Mit dem Ziel, den Wahrnehmungsprozess erfahrbar zu machen. Das hat man hinreichend oft gesehen, in den phänomenorientierten physikalisch-technischen Erlebnismuseen, ebenso in den einschlägigen Gestaltungslehrbüchern. Falsche Fährte.

Anarchie, Humor, Sorglosigkeit, Gestaltungswut, Zeichentheorie

Änderungen der Perspektive schärfen die Wahrnehmung.

Jedoch nur, wenn man auch wahrnimmt. Wenn als Aufgabe des Malens nicht zwingend die Darstellung von Gegenständen gedacht wird, kann Neuland gewonnen werden. In unserem Beispiel hier werden quasi rekursiv die Darstellungsmethoden selbst zum Ziel der Darstellung. Als eine Art kreative Umwidmung der ursprünglichen Bestimmung. Die Begeisterung am neu Entdeckten bringt dann die ursprünglichen Premissen nach und nach in Vergessenheit. Und das ist auch gut so. Wenn es gut so gut gemacht wird.

Die unschuldige Lust am Zertrümmern in Kombination mit der nur scheinbar unverdächtigen Malen-Nach-Zahlen-Attitüde führt bei der hier angewandten ernsthaften Hingabe schnell an die Grenze des Unbekannten. Das handwerklich Erreichbare wird dazu beherzt durchdekliniert. Die Aura der Echtheit, die Wiederaufwertung der Massenreproduzierbarkeit durch Einzelanfertigung ist die tragende Grundlage der Malweise. Spuren werden vermieden, jedoch nicht völlig ausgeschaltet. So unaufdringlich vermittelt wie hier gibt es das nur selten zu sehen.

Grundlegend für die Wahrnehmung ist das Unterscheiden und das Wiedererkennen von Mustern im Unterscheidbaren. Das ist jedoch zugleich auch derart dominant, dass man sich seiner Mechanik kaum entziehen kann. Für den tieferen Zugang zu Saschas Bildern ist allerdings entscheidend, sich davon nicht in die Irre führen zu lassen. Denn es stellt sich heraus: Das Motiv hat nicht den höchsten Stellenwert, trägt nicht den entscheidenden Verständniskeim. Bild, Fotographie, Gegenstand dienen lediglich als Folie, als Ausgangsmaterial. Das will gut gewählt sein, nicht jedes Motiv ist gleichfalls geeignet. Raster und Farbe dienen nicht als Mittel des Bildes. Es verhält sich umgekehrt: Das Bild ist Gegenstand für die Ordnung von Raster und Farbe in den Grenzen ihrer handwerklichen Produzierbarkeit.

Erreicht wird damit dann nicht, das Unbekanntes auf Bekanntes innerhalb eines gleichbleibenden Rahmens zurückgeführt wird. Es handelt sich tatsächlich um Übersetzung. Unbekanntes der einen Welt wird in Bekanntes einer anderen übersetzt - und umgekehrt.

Friede, Freude, Farbdynamik

Die in diesen Aquarellen angewandte Übersetzungsmethodik sorgt sich demnach nicht um ein verbessertes Verständnis der Begriffspaare digital/analog und abstrakt/konkret. Deutlicher spielen sie mit der Nachvollziehbarkeit der Möglichkeiten und Grenzen der Perzeption eines Kunstwerkes in Bezug auf die Bedingungen seiner Herstellung.

In der Folge steht im Vordergrund nicht das Ergebnis, sondern der Weg. Nicht Pinseldynamik, sondern Dynamik von Farbe und Raster. Nicht Zustand, sondern Prozess. Sowohl als einzelnes Werk, als auch in Serie - wobei sich die mit der Analogisierung einhergehende veränderten Sehgewohnheit Entschleunigung der digitalen Bilderzeugung umso eindrücklicher in den Serien darstellt.

Wie gesagt, ich freue mich sehr.

Rainer Dehmann 2013